«Ich schalte nie ganz ab und bin immer erreichbar»

    Marcel Ruf ist seit dem 1. Januar 2005 als Direktor der JVA Lenzburg tätig, wobei er bereits seit dem 1. Dezember 2000 Sicherheitsverantwortlicher der JVA war. Er gibt hier einen kleinen Einblick in seine über 20jährige Tätigkeit hinter den dicken Mauern und Gittern der Aargauer Justizvollzugsanstalt.

    (Bild: pixabay) Die Gefängnislandschaft verändert sich auch laufend und die Digitalisierung spielt im Vollzug eine wichtige Rolle.

    Sie sind seit 2005 Direktor der JVA Lenzburg. Was gefällt Ihnen an Ihrem Job?
    Marcel Ruf: Der Umgang mit Menschen, Mitarbeitenden wie Gefangenen, macht den Reiz aus. Ebenfalls gefällt mir die Mischung von Architektur und Technik hinter den Gefängnismauern. Es braucht intelligente Architektur, damit die Sicherheit und Menschenwürde im Strafvollzug gewährleistet werden kann.

    Was hat sich in der JVA, im Alltag mit den Gefangenen, aber auch bezüglich Sicherheit etc. in den letzten 20 Jahren verändert?
    Die Digitalisierung hat auch im Vollzug in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Wobei wir in der JVA Lenzburg bereits früh damit gestartet haben. So betreiben wir biometrische Systeme seit 2002 oder die Mobilfunkdetektion seit 2006. Der Alltag mit Gefangenen hat sich aus meiner Sicht nicht gross verändert. Man spürt im Gefängnis jedoch die weltpolitischen Umwälzungen. So verändern sich die Gefangenenpopulationen manchmal sehr rasch mit Ereignissen wie der arabische Frühling, EU-Erweiterung oder der Syrienkonflikt und damit auch die Herausforderungen.

    Welche Art Menschen sitzen bei Ihnen in der Haft, wie muss man sich den Umgang mit den Insassen vorstellen?
    Der Umgang ist nicht viel anders als draussen. Respekt und Anstand sind die beiden wichtigsten Säulen und klare Regeln, die auch durchgesetzt werden.

    (Bild: zVg) Marcel Ruf, Direktor der JVA: «Wichtig ist, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass unsere Arbeit sinnvoll ist.»

    Gibt es wirklich von Grund auf böse Menschen, hatten Sie schon einmal mit einem solchen Menschen Kontakt?
    Von Grund auf kaum, es gibt aber sicher Risikofaktoren, die statistisch relevant sein können. Beispielsweise eine Kindheit mit Missbrauch oder eine narzisstische Störung. Doch nicht jeder Narzisst oder missbrauchte Mensch wird zum Kriminellen.

    Was sind die grössten Herausforderungen im JVA-Alltag?
    Den Betrieb ständig auf Kurs zu halten und die steigenden Überstunden abzubauen.

    Wo setzen Sie Prioritäten?
    Eine sinnvolle Kommunikationsstrategie und den Kontakt zu den Mitarbeitenden und Gefangenen aufrechterhalten, was im beruflichen Alltag nicht immer einfach ist. Wichtig ist auch, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass unsere Arbeit sinnvoll ist.

    Wie ausbruchsicher ist die JVA oder anders gefragt: Haben Sie schon einen Gefängnisausbruch erlebt?
    Der letzte Ausbruch bei uns gelang im Januar 2006, wobei der Gefangene 11 Stunden später wieder verhaftet werden konnte, da wir alle Telefondaten auswerteten. Ein 100-prozentig ausbruchsicheres Gefängnis ist kaum möglich, ausser die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung der Gefangenen werden missachtet.

    Verändert ein Gefängnisaufenthalt jeden Menschen?
    Der Gefängnisaufenthalt wirkt sich bei jedem Gefangenen unterschiedlich aus. Es gibt Menschen, die mit psychosomatischen Erkrankungen reagieren. Andere wiederum kommen zur Ruhe. Wichtig ist es, die Entwicklungen zu beobachten und wo nötig zu intervenieren.

    Beherbergen Sie auch psychisch kranke Menschen?
    Ein nicht zu unterschätzender Anteil unserer Gefangenen weist psychische Erkrankungen auf.

    Wie vermeiden Sie, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen Angestellten und Insassen kommt?
    Mit Respekt und Regeln, wobei es sehr selten zu Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen und dem Personal kommt.

    Die Gefangenen arbeiten auch. Welche Arbeit und wieso ist das so wichtig?
    In der Schweiz gilt im Freiheitsentzug eine Arbeitspflicht. Der Gefangene muss arbeiten, und damit dies gewährleitet werden kann, haben wir siebzehn verschiedene Werkstätten.

    Können Sie abschalten, wenn Sie zu Hause sind?
    Ich schalte nie ganz ab und bin sieben Tage in der Woche erreichbar. Dies ist aber aus meiner Sicht unabdingbar, wenn man diesen Beruf ausüben will.

    Was sind wichtige Projekte der JVA?
    Auch die Gefängnislandschaft verändert sich laufend. Es gibt deshalb verschiedene Projekte, dazu zählen z.B. der Ausbau der Gewerbebetriebe oder die Anpassungen im Zusammenhang mit den Aussenkontakten.

    Was wünschen Sie sich für die Zukunft der JVA?
    Gesundes und motiviertes Personal, da dies das wichtigste Gut eines Gefängnisses ist.

    Interview: Corinne Remund

    Vorheriger Artikel«In Sachen Nachhaltigkeit haben wir noch viel zu tun»
    Nächster Artikel«Ich bin bestrebt, Probleme ganzheitlich zu lösen»