Die Fortsetzung: Ehrlichkeit versus Inkompetenz


    Teil 2


    «Verantwortung schafft Vertrauen» – der Leitspruch der Aargauer Belegärzte.

    Also stehen wir in der Pflicht, für unsere Patienten zu schauen.

    (Bild: zVg)

    Bevor ich Ihnen über den weiteren Werdegang des Falles aus der letzten Ausgabe berichte, möchte ich zwei wichtige Punkte vorausschicken:
    1.) Viele der Vertrauensärzte machen einen guten und wichtigen Job. Oft können mit einem kurzen Telefonat Unklarheiten beseitigt und konstruktive und eben medizinisch fundierte Lösungen gefunden werden. Ein Genuss in Sachen Kollegialität! Bei eben diesen Kollegen möchte ich mich entschuldigen, wenn ich über meine untenstehenden Erfahrungen berichte.
    2.) Und ich möchte richtig verstanden werden: Es geht hier primär nicht um frustrierende Briefwechsel, sondern um die Darstellung des hohen Masses an Inkompetenz, bei welchem Meinungen und nicht Wissen vorherrschen und um den daraus entstehenden, unnötigen und kostentreibenden administrativen Aufwand.

    Jetzt zum aktuellen Fall:
    Das Problem, worum es hier geht, war eine Zeitlang fast so etwas wie mein Steckenpferd. Ich habe mich viel damit auseinandergesetzt und ich war mit der Ablehnung nicht einverstanden.
    Nachdem ich meine erweiterten Ausführungen und fachlichen Erklärungen für meine Beurteilung ein zweites Mal abgeschickt hatte, kam eine Reihe von Gegenargumenten und der Versicherungsarzt versuchte nun meine Kompetenz in Frage zu stellen, wechselte zudem vom Fachlichen ins Persönliche und versucht, mir die Worte im Mund umzudrehen und mich zu diskreditieren.
    Ich habe gelernt, bei solchen Berichten sehr vorsichtig und skeptisch zu sein. Sobald Formulierungen wie «eindeutig» oder «wir halten an unserer Beurteilung fest» oder «dieses oder jenes kann nicht akzeptiert werden» im Brief auftauchen, weckt das in mir den Verdacht einer fachlichen Inkompetenz, welche nun hinter formalen Floskeln versteckt wird. (Anmerkung: Tatsachen sind nicht zu akzeptieren – sie sind entweder vorhanden oder dann nicht!) Und der Antwortbrief quoll über von genau solchen Redewendungen.
    Es ist auch peinlich und fast befremdend, dass man sich gegenüber einem Kollegen erklären soll, dessen Darlegungen darauf schliessen lässt, dass seine Kenntnisse mit grösster Wahrscheinlichkeit nur theoretischer Art sind und dass er diese Operation nie selber durchgeführt hat.
    Ungeachtet des administrativen Geplänkels geht es dem Patient aber schon ziemlich gut, nachdem ich eben die Operationstechnik durchgeführt habe, welche ich bei unfallbedingten Schäden verwende. Er ist jetzt in Ergotherapie und dürfte bald seine Arbeit wieder aufnehmen können.
    Wie es nun versicherungstechnisch weiter geht, weiss ich noch nicht, da alles noch in Bearbeitung ist.

    Und die Moral von der Geschichte
    Speziell möchte ich erwähnen, dass mein Honorar das gleiche bleibt, ob nun für die Behandlung die Unfallversicherung oder die Krankenkasse aufkommt.
    Also könnte es mir eigentlich gleichgültig sein, wie die Unfallversicherung den Fall beurteilt!
    Moralisch und medizinisch-ethisch kann ich das einfach nicht!
    Ich wehre mich vor allem gegen die Inkompetenz und das unprofessionelle Vorgehen, bei welchem die finanziellen Interessen einer Institution über die Interessen des Versicherten gestellt werden, unter Generierung unnötiger und absurder Leerläufe.
    Es ist nicht richtig, wenn die Versicherung versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen und aus meiner Sicht medizinisch fadenscheinige Argumente als Beweis in die Diskussion einbringt.
    Der Generalverdacht, der Patient und die Ärzte würden unter einer Decke stecken, mit dem deklarierten Ziel, die Versicherung zu schädigen, ist das Resultat der Hetzkampagne gegen die Ärzteschaft und öffnet Tür und Tor für unqualifizierte Behauptungen. Der Patient wird dadurch zu häufig zum Spielball der Versicherungen.
    Für den Patienten bzw. Versicherungsnehmer können dadurch massive Probleme entstehen. Beispielsweise erfolgen die Taggeldzahlungen bei einem Unfallgeschehen in der Regel ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Bei der Krankenkasse jedoch erst nach 30 Tagen. Für einen selbstständig Erwerbenden kann finanziell die Existenz davon abhängen.
    Wie bereits erwähnt, gibt es Kollegen bei den Versicherungen, mit denen eine für alle Beteiligten faire, medizinisch und versicherungstechnisch saubere Lösung erarbeitet werden kann.
    Leider gibt es aber in den letzten Jahren immer mehr Ausnahmen, welche eine kollegiale, konstruktive Zusammenarbeit extrem erschweren und so zu viel unnötiger Korrespondenz führen.
    Bei unseren handchirurgischen Kongressen, aber auch bei Diskussionen mit Kollegen aus anderen Fachgebieten, führen wir häufig Gespräche über den schwierigen Umgang mit den Versicherungen.
    Als ein Beispiel sei der «schlechte» Vertrauensarzt erwähnt: Er wird durch die Versicherung bezahlt und handelt schlussendlich als ihr Claqueur. Entsprechend bekommen wir z.T. haarsträubende «Beweisführungen» vorgelegt, welche bar jeglicher medizinischer Grundkenntnisse auf einem speziellen Gebiet sind. Klar werden Literaturzitate eingebracht – leider fehlt diesen Leuten zu oft sowohl der klinische Bezug zum aktuell realen Fall wie generell zur operativen Behandlung dieser Problematik. Von der Erfahrung schon gar nicht zu sprechen.
    Es resultieren dann schikanöse Briefwechsel, welche unsere ohnehin schon knappen zeitlichen Ressourcen binden. Während ein solcher Vertrauensarzt Zeit hat, sich am Schreibtisch zu verlustieren und Papiertiger grosszuziehen, haben die aktiven und insbesondere operativ tätigen Ärzte tagsüber Sinnvolleres zu tun, als sich mit der Gängelung durch vor Inkompetenz und Überheblichkeit strotzenden Versicherungsadlaten herumzuschlagen.
    Dies, obwohl immer wieder beteuert wird, dass ein Vertrauensarzt als unabhängig gilt! Die Realität sieht häufig anders aus, leider! Für Kollegen aus dem Ausland ist die Tätigkeit als Vertrauensarzt oder Gutachter sehr lukrativ.
    Meines Erachtens stehen sowohl die Versicherungen wie auch die Politik in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass Schlüsselstellen durch Top-Ärzte jeder Fachrichtung besetzt werden. Sachbearbeiter, Juristen und Versicherungsspezialisten sollen ihnen zur Hand gehen, aber die abschliessende Entscheidungsbefugnis gehört in die Hände des (unabhängigen und für dieses Problem ausgebildeten) Arztes. Wahrscheinlich wären die anfänglichen Investitionen höher. Die Übertragung der Kompetenz in die Hände des Profis würde aber gesamtökonomisch durch Steigerung der internen Effizienz sowie Vermeidung unnötiger «Klärungsschritte» eine deutliche Reduktion der Kosten bewirken. Die Auslagen, welche durch das Auslagern der Informationsbeschaffung aufgrund der mangelhaften medizinischen Ausbildung der Angestellten entstehen, würden entfallen.

    Das wäre ein weiterer Ansatz, von dem Sie und wir alle profitieren könnten.

    Dr. med. Voja Lazic,
    Präsident VABP,
    Vorstandsmitglied SBV/ASMI

    Teil 1: Ehrlichkeit versus Inkompetenz

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